Angst transformieren

Silently we meet in you
28. Dezember 2016
HerzenSingen, Mantrasingen in Köln
Reinhören in Om Asatoma Satgamaya live
18. Januar 2017
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Seneca hat gesagt: „Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“

Als ein Wagnis empfinden wir etwas, dessen Ausgang ungewiss ist. Und Ungewissheit, Unsicherheit über die Zukunft, erzeugt häufig Angst.

Alle spirituellen Meister sagen: „Angst ist die Abwesenheit von Liebe.“ Andersherum gesagt: Ich brauche also „nur“ zu lieben, dann verschwindet die Angst von alleine. Leicht gesagt, aber … da schließt sich der Kreis, genau das scheint ja gerade die Schwierigkeit zu sein. Was kann ich also konkret tun? Zunächst einmal lehne ich die Angst nicht ab, sondern wende mich ihr liebevoll zu, akzeptiere erst einmal einfach nur, dass sie da ist und untersuche sie dann näher. Wenn ich die Angst weg haben will, tappe ich in die Falle der Ablehnung oder Ignoranz, und das führt höchstens zur Unterdrückung der Angst, die sich dann an anderer Stelle und vielleicht in anderer Form wieder zeigt. Wenn ich Angst vor der Angst (vor dem Hingucken) habe, drehe ich mich im Kreis. Wenn ich glaube, Angst unter Kontrolle halten zu können, wird „das Halten“ immer anstrengender, bis auch das nicht mehr funktioniert.

Es geht nicht darum, etwas wegzumachen, zu ignorieren oder zu kontrollieren, sondern es geht darum, das Licht der Liebe und des Bewusstseins darauf zu richten, um die Angst sozusagen zu umarmen, zu untersuchen, sie bis in die tiefsten Winkel zu verstehen, zu erkennen, woher sie kommt und wofür sie „gut“ ist oder war. Nur wenn wir die Angst verstehen, gibt es eine Chance, sie zu transformieren.

Erich Kästner hat einmal gesagt: „Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie.“ Ich formuliere das Zitat einmal andersherum: Wenn einer Phantasie hat, hat er eine Menge Potential, sich Angst machende Situationen vorzustellen. Wir sind mit Hilfe unserer Phantasie in der Lage, ganze Filme über das zu drehen, was alles passieren könnte: Ich stelle mir vor, wie meine Partnerin auf Geschäftsreise mit ihrem Kollegen anbändelt. Ich stelle mir vor, dass unser Sohn auf dem Weg zur Schule verunglückt. Ich stelle mir vor, dass ich meinen Job verliere, weil ich nicht gut genug bin und und und … Ich bin sicher, jedem von uns fallen spontan mindestens ein Dutzend solcher Filme ein, die etwas beschreiben, was in der Zukunft passieren könnte und was uns Angst machen könnte.

Diese Angst machenden Vorstellungen sind aber eben nur Vorstellungen und häufig nicht real begründet. Sie sind ein Phantasie-Konstrukt unseres Geistes, der äußerst kreativ in solchen Dingen sein kann. Was ist real? Natürlich macht es Sinn, dafür zu sorgen, dass unser Sohn die Verkehrsregeln kennt und sie einhält und ein ausreichend beleuchtetes Fahrrad hat, wenn er damit zur Schule fährt. Und eine realistische Einschätzung meiner Fähigkeiten und Kenntnisse für den Beruf, den ich ausübe, ist auch wichtig. Aber wenn ich mir unbegründete und übertriebene Sorgen mache, führt das zu einem Adrenalin-Stoß, der meinen gesamten Körper nur noch in zwei Richtungen lenken kann: Kampf oder Flucht. Adrenalin ist sinnvoll, wenn mir plötzlich der Bär gegenüber steht und ich meine volle Kraft brauche, um zu fliehen (oder zu kämpfen). Dasselbe gilt für eine Situation im Straßenverkehr, wo ich schon mit einem Fuß auf der Straße bin und der LKW mich nur deshalb nicht erwischt, weil mich der Schreck (und das ist keine Angst) gerade noch rechtzeitig den Fuß wegziehen lässt.

Wichtig ist also, in der konkreten Situation, in der Angst aufkommt, zu untersuchen, ob es wirklich Angst ist (unbestimmt) oder ob es die Sorge/Furcht aufgrund einer konkreten realen Situation ist. Habe ich grundsätzlich Angst, meinen Job zu verlieren? Oder treibt mich die konkrete Sorge um, weil die Firma, in der ich arbeite, tatsächlich (real) kurz vor der Pleite steht? In den Fällen, in denen mich eine konkrete Sorge umtreibt, kann ich in der Regel auch konkret etwas an der Situation verändern, z. B. mir einen neuen Job suchen, bevor die Firma pleite macht. Natürlich ist auch das nicht leicht, aber nicht deshalb, weil ich Angst habe, sondern weil es real eine Herausforderung zu bewältigen gibt. Es ist keine Situation, die unser Geist nur konstruiert hat.

Angst dagegen ist dann vorhanden, wenn ich mir eine mögliche (negative) Zukunft ausmale, die mir nur aufgrund von ebenfalls erdachten Szenarien bedrohlich erscheint, z. B.: Mein Chef hat mich letzte Woche kritisiert. Ich rechne damit – weil ich das als generelle Kritik (miss)verstehe – dass das jetzt häufiger passieren wird, Abmahnungen folgen werden und ich dann rausgeschmissen werde. Das reale Ereignis ist nur die Kritik des Chefs, alles weitere ist „erfunden“, ein Movie. Oder ich befürchte sofort, dass meine Partnerin verunglückt ist, wenn sie sich etwas verspätet, weil sich meine Phantasie ausschließlich auf Unglücks-Szenarien konzentriert und keine anderen harmlosen Möglichkeiten zulässt. Solche selbst gedrehten Filme sind oft an Dramatik nicht einmal von echten Filmen zu übertreffen.

Als ich selbst noch Regisseur und Drehbuchautor solcher Movies war, aber mir bereits klar war, dass das „nur“ Produkte meines (kleinen) Geistes sind, habe ich manchmal, wenn ich merkte, dass ich gerade in einen Movie eingestiegen war, mit Absicht die Dramatik so weit getrieben, dass ich irgendwann laut lachen musste ob der Absurdität meiner Vorstellungen und Phantasien. Das war sehr hilfreich –  nicht das Dramatisieren, sondern das Erkennen der Absurdität. Das Dumme ist, dass wenn man (unbewusst) in einem Movie steckt, man für „vernünftige“ Argumente nicht zugänglich ist, egal woher sie kommen. Wenn ich partout nicht in ein Flugzeug einsteigen will, weil ich den letzten Absturz mit 200 Toten vor Augen habe, dann wird es nicht helfen, wenn mir jemand die Statistik vorhält, nach der es pro Monat ca. 300 Verkehrstote (auf der Straße) in Deutschland gibt, aber „nur“ 58 Flugzeugabstürze in Deutschland seit 1945. Übrigens hilft gegen Angst vor Terroranschlägen auch nicht, wenn mir jemand mitteilt, dass es (zur Zeit) wahrscheinlicher ist, an einem Kugelschreiber zu ersticken, als von einem Terroranschlag in Deutschland getötet zu werden.

Angst lähmt und man ist vernünftigen Argumenten eben gerade nicht zugänglich, wenn Angst da ist. Es nützt also nichts, die Angst abwehren oder beschwichtigen oder wegreden zu wollen. Ich muss mir genau angucken, was das da ist, was ich als Angst empfinde, ich muss sozusagen in die Angst reingehen. Das macht möglicherweise erstmal noch mehr Angst. Aber alles andere führt uns nur immer wieder wie die Katze um den heißen Brei herum.  Also, gut ist, zu fragen, wovor konkret habe ich Angst? Angst, dass meine Partnerin verunglückt, ist die Angst davor, „verlassen zu werden“, die Angst davor, allein zu sein, die sich in Existenz- Angst steigern kann. Letztendlich lässt sich jede Angst auf Existenz-Angst oder anders ausgedrückt auf die Angst vor dem Tod zurückführen. Und letztendlich geht es genau darum: die Todesangst zu transformieren.

Das heißt aber nicht, dass  ich die Schritte dahin überspringen darf. Weil sich Angst bei jedem Menschen anders manifestiert, auch wenn es teilweise große Ähnlichkeiten gibt. Wenn ich z. B. von Verlustangst spreche oder von der Angst, ausgeschlossen zu sein oder von der Angst davor, eine Fehlentscheidung zu treffen oder nicht zu genügen oder oder oder, dann wissen die meisten Menschen, wovon ich spreche, weil sie das selbst schon einmal erlebt haben, und trotzdem liegen die Ursachen in individuell verschiedenen Erfahrungen.

Wenn ich also „meiner“ Angst näher kommen will, muss ich in Situationen, in denen Angst entsteht, nicht mit Flucht (Ignoranz) und auch nicht mit Kampf (Aggression, Ablehnung) reagieren, sondern tiefer nachspüren, woher diese Angst kommt. Das kann zunächst auf körperlicher Ebene passieren: Wie fühlt sich die Angst körperlich an? Wo „sitzt“ sie? Wenn man tiefer und tiefer geht, kann zunächst das Gefühl der Angst immer größer werden, deshalb scheut man sich auch unter Umständen, in diesen Prozess einzutreten (die Angst vor der Angst). Vielleicht muss man auch Methoden wie die Dynamische Meditation zu Hilfe nehmen, um nicht nur die Ohnmacht, die häufig mit Angst einhergeht zu spüren, sondern auch Wut, Trauer, Aggression einmal auszuleben, ohne sich selbst oder andere dabei zu verletzen.

Wenn man immer tiefer in die Angst hinein geht, kommt man irgendwann an einen Punkt, wo (in diesem Moment) von der Angst nichts mehr übrig ist, wo man also erkennt, dass Angst tatsächlich verschwindet, wenn man sich ihr mit Liebe zuwendet. Das reicht zwar meist nicht, um die Angst komplett zu transformieren. Es ist aber eine wichtige Erfahrung, nämlich dass Angst tatsächlich verschwinden kann.

Wenn mein Körper sich nach einer Angsterfahrung wieder beruhigt hat, kann ich hinterfragen, in welchen Situationen heute und früher solche Gefühle entstanden sind. Vielleicht findet man auch eine ganz bestimmte Lebenssituation, die für „das ganze Drama“ verantwortlich ist. 

Als ich dann endlich angefangen habe, mich der Angst zuzuwenden anstatt sie loswerden zu wollen oder sie zu ignorieren, habe ich Alles daran gesetzt, „meiner“ Angst „auf die Spur zu kommen“. 

Wenn wir es nicht wagen, hinzugucken, bleibt es schwer. Und die Entscheidung, hingucken zu wollen, liegt allein in unserer Verantwortung.

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